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Zendo im Kuhkraftwerk
Zendo im Kuhkraftwerk

...aktuelle Worte an die Weggefährten...im Mai 2019

Wer bin ich?

Wer bin ich?

Liebe Weggefährten,

viele von Euch werden die Fernsehsendung mit Robert Lemke und seinem Rateteam aus eurer Kindheit bzw. Jungend noch kennen, die den Titel „Was bin ich?“ trug. In dieser Darbietung ging es um den Beruf des jeweiligen Gastes bzw. mussten die Mitglieder des Rateteams zum Schluss ihre Masken aufsetzen, weil sie dann eine bekannte Person zu erraten hatten. Für jede falsche Antwort aus dem Team gab es fünf Mark in das Sparschwein des Gastes. Am besten für den Gast war es dann, wenn seine Profession bzw. seine Person selbst nicht erraten wurde. Dann war sein Sparschwein nämlich voll.

Im Zen gehört diese Frage „Wer bin ich?“ seit je her zu den essenziellen Fragen der Innenschau bzw. zu den wichtigsten Fragen, die der Meister seinem Schüler stellt. „Wer bist du?“ oder „Was war dein Gesicht, bevor Mutter und Vater dich gezeugt haben?“

Klar, denken wir, mit der ersten Frage habe ich keine Schwierigkeiten, ich bin Franz oder ich bin Heidi oder Kati oder Peter…und weiter, ich bin der Sohn, die Tochter von Beate und Stefan. Wir kennen unsere Adresse, unseren Beruf, unsere Kinder, Enkel und Verwandten, vielleicht sogar noch unsere Steuernummer…usw. So können wir bestimmt eine ganze Weile erzählen, wer wir sind. Doch irgendwann sind diese Art Antworten erschöpft… Wer bin ich wirklich? Nun geht es ans Eingemachte, wie wir dies so treffend für dauerhaft haltbares ausdrücken können.

Rumms…mit einem Mal kommen in mir Zweifel, ganz gehörige Zweifel, auf. Was macht mich tatsächlich aus? Ist es mein Körper? Mein Körper verändert sich ständig, vom Baby, übers Kind, über den Jugendlichen, über den Erwachsenen und schließlich hin zum Greis, der dann eines Tages stirbt. Also, ist es tatsächlich dieser Körper, der Franz oder Heidi oder Kati ausmacht? Wenn der doch kein Tag so ist wie der andere? Wie oft haben wir zu Personen, die wir lange nicht mehr gesehen haben, schon gesagt:“ Dich hätte ich fast nicht mehr erkannt!“ Also wird die Sache mit dem Körper einigermaßen schwierig.

Dann sind es vielleicht meine Gedanken, meine Persönlichkeit, meine Individualität, die mich ausmachen? Die Wissenschaft, vor allem die Biologie, sät hierzu immer größere Zweifel bzw. bringt tagtäglich neue Belege dafür, dass alles in meinem Körper nur biochemische Abläufe, auch biochemische Algorithmen genannt, sind, die aufgrund meiner Genetik und meiner erworbenen Verhaltensmuster in meinem Körper genauso ablaufen, wie sie dann ablaufen. Dessen noch nicht genug! Es gibt tatsächlich Untersuchungen, dass Unternehmen wie Google und Facebook uns jetzt schon besser kennen als wir uns selbst. Was wissen die von mir, was ich nicht weiß? Facebook hat herausgefunden, dass es mich, je nach Anzahl der Likes, die ich in meinem Account poste, faktisch besser einschätzen kann als mein Nachbar, meine Freunde, ja sogar meine Familie mich zu kennen glaubt. Ab 150 Likes ist es soweit. Der Computer weiß mehr über mich als alle anderen Menschen in meiner Umgebung.

Na toll! Hat ja prima hingehauen! Gerade noch dachte ich, dass ich sehr genau weiß, wer ich bin und was mich ausmacht, dann werde ich in meinem Menschsein gehackt, plötzlich weiß ich gar nichts mehr, auf einmal kennt die Maschine mich besser als ich mich selbst. Schöne Bescherung! Wie Weihnachten fühlt sich das allerdings nicht an…eine erste große Verunsicherung macht sich in mir breit.

Wenn ich nicht weiß, wer ich wirklich bin, was mich tatsächlich aus macht…wozu lebe ich dann überhaupt? Was ist der Sinn meines Lebens, wenn alles nur Biochemie sein soll, wenn alles nur über Algorithmen abläuft, die jede meine Entscheidungen ad absurdum führen? … apropos, Entscheidungen, damit wird natürlich auch mein freier Wille ganz ernsthaft in Frage gestellt. Entscheide ich frei oder ist meine Entscheidung bereits vorher durch meine Biologie getroffen worden?

Wir Menschen haben immer wieder versucht, dieses letzte, dieses letztendlich unteilbare Stück, welches uns, welches das Leben ausmacht, zu finden und zu definieren. In dem Wort definieren, d.h. Grenzen ziehen, liegt dann bereits der Fehler, dieser große Irrtum, unser Verstand sei die einzige Größe, an der wir den Rest unserer Wirklichkeit messen könnten. So kommen wir dann auf Begriffe wie „Individuum“, übersetzt aus dem lateinischen bedeutet das Wort unteilbar, oder als kleinstes, unteilbares Teilchen auf das aus dem griechischen stammenden Wort „Atom“.

Hallo? Unteilbar? So ein Unsinn! So ein Quatsch!

Am Ende des Tages treffen sich Buddha und Wissenschaft im Herzsutra und singen schön vereint:

“ Form ist Leere, Leere ist Form.

Form ist wirklich Leere, Leere wirklich Form.“

Was bedeutet dieser Satz für mich, für den Franz, für die Heidi, für die Kati? Können wir damit überhaupt etwas anfangen?

Shakyamuni Buddha damals vor zweieinhalbtausend Jahren war sich mit der Wissenschaft von heute einig, dass auf der untersten Ebene nur noch Energie vorhanden ist. Da sind keine Teilchen mehr, Materie wird zu Energie und umgekehrt, dort gibt es keine Trennung mehr. Albert Einstein hat dies in der beinahe jedem Kind geläufigen Formel E=m x c2 auf den Punkt gebracht, wie sich Masse zu Energie verhält.

Zurück zu der Frage, was das alles mit mir zu tun hat, was das für mich, für mein Leben bedeutet. Als Mensch bin ich Form, ich werde in einer Form geboren, diese Form ist einzigartig, keiner sieht so aus wie ich, keiner auf der ganzen Welt war je und wird je Franz sein. Durch die gesammelte Genetik, die sich im Laufe von Jahrtausenden ständig verändert, ständig angepasst hat, trage ich die in gewisser Weise die Vergangenheit aller Menschen in mir, durch die Umwelt, in der ich aufwachse, eigne ich mir dann noch verschiedene Verhaltensmuster an und diese Muster prägen mich dann, lassen mich bestimmte Dinge mögen, andere wiederum ablehnen. So mag ich z.B. Nudeln, aber keine Bratwurst. Bei anderen Menschen mag genau das Gegenteil der Fall sein. Diese Form, diese Genetik, diese Verhaltensmuster sind es also, die mich, den Franz, die mich, die Heidi, einzigartig werden lassen. Meine Kreativität, meine Lust am Leben, meine Wünsche oder aber auch meine Dummheit, mein Unverständnis, meine Gier lassen mich zu einer eigenen Marke werden. Franz ist Franz und Heidi ist Heidi! Punkt!

Aber reicht das schon?

Genügt uns dies, um ein erfülltes Leben zu leben?

Macht allein diese Form als Franz oder als Heidi mich glücklich?

Ob ich einen Bart trage oder eine Glatze, ob ich hetero- oder homosexuell, ob ich Liberaler oder Kommunist, ob ich Hindu oder Moslem bin…macht allein dieser Ausdruck, diese Form den Sinn meines Lebens aus??

 

Bei weitem nicht!!

Jetzt geht´s erst richtig los!

Jetzt geht´s erst richtig zur Sache!

Denn jetzt kommt die Leere ins Spiel!

 

„Der höchste Weg ist nicht schwer, wenn du nur aufhörst zu wählen.

Wo weder Liebe noch Hass, ist alles offen und klar.

Aber die kleinste Unterscheidung bringt eine Distanz wie zwischen Himmel und Erde.

Soll Es sich dir offenbaren, lass Vorliebe wie Abneigung beiseite.“

 

Wenn wir in der Übung auf unserem Kissen sitzen und unfokussiert an die Wand schauen, dann konzentrieren wir uns zunächst auf unseren Atem, auf das, was wir zum Leben am notwendigsten brauchen, auf das, was uns am Leben erhält, auf das, was uns mit dem Leben verbindet. Doch, können wir den Atem anhalten? Wie gerne hätten wir mehr davon! Ständig tauchen Wünsche auf, wir wollen unser Glück festhalten, wollen gar mehr davon! Nichts dergleichen! Nach dem Einatmen kommt das Ausatmen. So gerne wir noch mehr von diesem tollen Element, dem Sauerstoff, gehabt, so gerne wir noch an diesem oder jenem festgehalten hätten, wir müssen loslassen. Ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen ausatmen. Nur dieses Wechselspiel von Ein- und Ausatmung garantiert das Lebendig Sein, allein dieses Wechselspiel garantiert unser Leben.

Nun kommen wir der Sache schon näher…

Wenn wir ausatmen, lassen wir also los…

Einatmen…ausatmen…mit dem Ausatmen lassen wir los…wir lassen mit jedem Atemzug weiter los…wir lassen weiter los…wir lassen alles los…bis da nichts mehr loszulassen ist!

…wir hören auf zu wählen…wir lassen die Dinge so, wie sie sind…wir sehen sie Dinge so, wie sie sind…

Im Zen sagt man:

„Wenn du verstehst, sind die Dinge so, wie sie sind.

Wenn du nicht verstehst, sind die Dinge so, wie sie sind!“

Die Dinge sind immer so, wie sie sind. Allein unsere Sichtweise auf die Dinge ist entscheidend. Nun, wir lassen also immer weiter los, mit jedem Atemzug ein Stück mehr…wir werden innerlich leer, wir lassen uns an dem Seil unseres Atems auf den Grund unseres Herzens hinab…immer weiter…immer tiefer…

…da…ganz langsam…mit dem nächsten Ausatmen…da öffnet sich ein Tor…dieses Tor der unwandelbaren Liebe, dieses Tor der bedingungslosen Liebe…nur noch pure Liebe, nicht als Liebe…diese Liebe wählt nicht, diese Liebe entscheidet nicht, diese Liebe nimmt an, sie ist einfach da, diese Liebe liebt vollständig. Mit einem Mal sind alle Dinge so, wie sie sind…vielmehr noch…mit einem Mal sind keine Dinge mehr, Subjekt und Objekt haben sich aufgelöst. Meine Form hat sich aufgelöst im Strom dieser Liebe, im Strom dieses Lebens, dessen untrennbarer Teil ich bin. Nun kann ich mitfließen, mit allem, was mich umgibt. Diese Umgebung bringt mich zum Staunen, ja, sie lässt mich aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen. Boooooaaaa!!! Wunder über Wunder! Alle Wesen haben Buddhanatur! Alle Wesen sind Teil dieses Lebensstroms. Dieser Strom verändert sich ständig, er entwickelt sich, Leben will, Leben muss sich entwickeln. Leben will sich ausdrücken, will zum Ausdruck kommen. Und dieser Ausdruck gebiert dann verschiedene Formen. Die Geburt dieser Formen ist unglaublich spannend, wie wunderbar! Die Geburt dieser Formen kann aber auch wahnsinnig schmerzhaft sein, ein Schmerz, der uns oft fast zerreißen will. Und dennoch, es bleibt, wir bleiben, Franz bleibt, Heidi bleibt, Kati bleibt untrennbar mit diesem Strom des Lebens verbunden. So wie jede Blüte, so wie jedes Blatt, so wie jeder Stein einzigartiger Ausdruck dieses Wunders, das sich Leben nennt, sind, so dürfen auch wir uns als wunderbaren Teil dieses so reichhaltigen Lebens fühlen. Wir sind lebendig, lasst uns immer wieder genau hin spüren! Ja, genau, da istes! Pure Lebendigkeit! Pure Lebensfreude!

 

Im Zen sagt man:

„Jede Schneeflocke fällt genau an ihren richtigen Platz.“

 

Rainer Maria Rilke trifft es ebenfalls genau auf den Punkt:

„Es ist fast von der Bedeutung einer Religion, dieses Einsehen:

Dass man, sobald man einmal

Die Melodie des Hintergrundes gefunden hat,

nicht mehr ratlos ist in seinen Worten und

dunkel in seinen Entschlüssen.

Es ist eine sorglose Sicherheit in der einfachen Überzeugung,

Teil einer Melodie zu sein,

also einen bestimmten Raum zurecht zu besitzen

und eine bestimmte Pflicht an einem breiten Werke zu haben,

in dem der Geringste ebenso viel wertet wie der Größte.

Nicht überzählig zu sein, ist die erste Bedingung

Der bewussten und ruhigen Entfaltung.“

 

Wir können alle diese Melodie spüren, vielleicht nicht immer, vielleicht nicht in jedem Augenblick. Aber dafür gehen wir ja auf unser Kissen, dafür gehen wir in die Übung, gehen darin auf die Suche.

Ohne mein Leben fehlt dem Leben aller Lebewesen etwas, ohne mein Leben ist die Existenz, ja ist der ganze Kosmos nicht vollständig. Ich bin Teil dieser Heiligkeit, ich besitze diesen, meinen Raum zurecht. Das entbindet mich jedoch nicht meiner Pflicht an diesem großen Werke, was sich Schöpfung, was sich Urgrund nennt. Und so ist Franz unabdingbarer Teil dieses unaufhaltsamen Lebensstromes, so ist Heidi essenzieller Teil dieser nie enden wollenden Liebe, so ist Kati unbedingt notweniger Ausdruck dieser schier unerschöpflichen Kreativität des Kosmos.

Und so erkennen wir die Wunder des Alltags immer deutlicher, begegnet uns der Buddha in unserem, vielleicht meist unfreundlichen Nachbarn, in der Tastatur unseres Computers, in der Zahnpasta auf unserer Bürste, in der Kartoffel, die wir gerade schälen, in der Zwiebel, die uns zum Weinen bringt.

Wenn wir auf solche Art wahrnehmen, dann können wir aus ganzen Herzen in folgenden Vers aus dem Zen einstimmen:

„…und kämen in diesem Augenblick tausend Buddhas,

sie könnten nicht ein Stück dazu tun oder wegnehmen!“

So bin ich am letzten Abend meines Sesshins aus tiefsten Herzen

Euer Franz vom Kuhkraftwerk

 

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